2. März 2021

Haushalt 2021/22: Rede des Fraktionsvorsitzenden Sven Radestock

Das Haushaltsrecht gilt als das Königsrecht oder besser: König*innenrecht der Ratsversammlung. 

Das ist ein vielzitierter Satz – doch was hat er noch zu bedeuten in einer Zeit, in der die König*in mehr denn je von den Geldtöpfen anderer abhängig ist?

In der sie nicht weiß, wieviel sie wirklich bekommt – und auch nicht, ob sie ihr Geld wirklich dort ausgeben kann, wo sie es will. Weil ihre Mitarbeiter*innen unter Überlastung ächzen.

Die Haushaltsberatungen dienen im Idealfall dazu, dass wir festlegen, in welchen Bereichen welche Schwerpunkte gelegt werden sollen, bei uns in den kommenden beiden Jahren.

Doch wie erfolgreich kann dieses Festlegen überhaupt sein, wenn wir uns zwar regelmäßig eine Übersicht vorlegen lassen, welche unserer Beschlüsse nun schon umgesetzt wurden und welche nicht – Wenn diese Liste aber zuletzt tatsächlich rund 100 Punkte umfasst. Von denen wiederum die deutliche Mehrzahl den Satz enthält „Das Thema bleibt Gegenstand der Berichterstattung“ – mit anderen Worten: Der Beschluss ist noch immer nicht umgesetzt.

Wir sollen und wollen Schwerpunkte setzen,

  • doch wir wissen noch weniger als bisher, wieviel Geld uns zur Verfügung steht, 
  • wir wissen um – noch immer nicht umgesetzte – Beschlüsse 
  • und wir bekommen als dritte Unbekannte dann noch die Drohung präsentiert: Dieser Haushalt könnte überhaupt nicht genehmigungsfähig sein. Auch wenn Ihr ihn so beschließt, wie von der Verwaltung gewissenhaft und fachkundig vorbereitet, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die Kommunalaufsicht in Kiel sagt: Geht so nicht. 

Mit dieser ernüchternden Erkenntnis sind wir als Kommunalparlament entlassen in eine Haushaltsdebatte, die also geprägt ist 

  • von Ungewissheit, 
  • von einem Berg unerledigter Aufgaben 
  • und von einer mächtigen Drohkulisse. 

Viel Spaß.

Das alles dann auch noch vor dem Hintergrund einer Pandemie – oder meinetwegen auch mit einer Pandemie im Vordergrund – die Mitglieder unserer Ratsversammlung zutiefst verunsichert und außerdem vor die Frage stellt: 

Überlasse ich die Verantwortung anderen, setze meine Arbeit erstmal aus, ziehe mich zurück und warte, bis alles vorbei ist? 

Oder merke ich selbst in dieser Ausnahmesituation noch, dass ich ja gewählt bin, um Entscheidungen zu treffen für meine Stadt?

Um eben nicht anderen alles zu überlassen, auch wenn das – mit Blick auf die vielen Widrigkeiten – für mich selbst der geschmeidigere Weg sein könnte.

Zweimal haben wir die Haushaltsberatungen verschoben. Wir sind mit unserem Doppelhaushalt spät dran. 

Und selbst wenn uns der Oberbürgermeister in der vorigen Sitzung versichert hat, alles ist gut, auch mit den freiwilligen Leistungen, die nun nicht einfach weitergezahlt werden können – es hat bei manchen Organisationen doch für Probleme gesorgt. 

Wenn ein Verein mit seinem Vermieter verabreden musste, die Mietzahlungen erstmal zu stunden, bis wir endlich einen Beschluss gefasst haben, finde ich das einfach nur traurig, ja schon etwas beschämend.

Noch vor der für Januar geplanten Sitzung – also nach einmaligem Verschieben – sah es immerhin so aus, als ob wir dafür eine Ratsversammlung hinbekommen, in der wir uns vorab über die wichtigsten Eckpunkte geeinigt haben könnten. 

Wir Grüne waren dazu bereit. Und wären es noch immer. Denn eines müssen wir doch feststellen: 

Die Schuldenbremse, der Wille, eine schwarze Null zu erreichen, ist ein hehres politisches Ziel, das politisch- ideologisch über allem stehen mag. 

Seit gut einem Jahr wissen wir aber: In der praktischen Auseinandersetzung bringt sie uns in Ausnahmesituationen wie dieser nicht weiter. 

Vor zwei Jahren haben wir alle uns gefreut, dass unser städtischer Haushalt wieder gut dasteht. Es gab die Warnung: Wir hängen sehr von der Gewerbesteuer ab. Wenn die Konjunktur einbricht, bekommen wir das auch zu spüren. 

Und nebenbei bemerkt: 

Auch vor zwei Jahren gab es den deutlichen Hinweis auf die Kommunalaufsicht, weil wir zwar viele Investitionen beschlossen haben, aber mit der Umsetzung nicht hinterher kommen.

Nun hat sich die Lage verschärft – und sie ist sogar noch schlimmer geworden, als zu befürchten war. 

Es ist deshalb nur die halbe Wahrheit, wenn wir sagen: Wir setzen mit diesem Haushalt die inhaltlichen Schwerpunkte für die kommenden beiden Jahre. Die ganze Wahrheit ist: So sehr auf Sicht gefahren wie diesmal ist die Stadt Neumünster wohl seit langem nicht.

Erstens kommt es anders, zweitens als wir es beschließen.

Das zeigt schon der Blick auf das bloße Zahlenwerk. 

Wir haben die Zahlen gehört, ich will sie nicht wiederholen. Ich will nur festhalten:

Es kommt schlimm, aber es hätte noch schlimmer kommen können.

Wie schlimm es aber am Ende wird – auch wenn einige unter uns meinen, dies sagen zu können – es bleibt ungewiss.

Wir halten es deshalb für den richtigen Weg, anders als bisher zu handeln. Wir nutzen unser König*inrecht, indem wir es gemeinsam mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausüben.

Das heißt: Wir nehmen uns den Vorschlag der Verwaltung und verlieren uns nicht im Klein-Klein, sondern sehen das große Ganze.

  • Ein paar Korrekturen, ja, aber ohne große Kämpfe, die ja mitunter vom Blick auf die eigenen Wählergruppen geprägt sind.
  • In dem Wissen, dass mit Blick auf die ungewisse Lage Nachträge ohnehin mehr denn je nötig sein werden. – Wenn ich ihn richtig verstanden habe, bin ich hier mit Herrn Kühl einer Meinung.

An oberster Stelle steht für uns dabei unsere Grundeinstellung: Neumünster muss seine öffentlichen Aufgaben auf jeden Fall erfüllen, also gerade auch in schlechten Zeiten. 

Frühkindliche Bildung, 

Innovation, 

Infrastruktur 

und vieles mehr geht nicht nach Kassenlage, das wäre schädlich für das Gemeinwesen und die lokale Ökonomie. 

Wenn es schon bergab geht, dürfen wir nicht auch noch frühkindliche Bildung, Innovation und Infrastruktur hinterherschicken und sich selbst überlassen. 

Wir müssen hier auch weiterhin investieren – denn wenn wir heute Geld ausgeben für frühkindliche Bildung, für Innovation, für Infrastruktur – dann fördern wir damit das Gemeinwesen und die lokale Ökonomie von morgen.

Sparen würde hier teuer.

Natürlich müssen und werden wir die Ausgaben im Blick behalten, aber wir müssen auch investieren. Gerade in die Infrastruktur. Gerade auch in die Instandhaltung. Was passiert, wenn wir hier am falschen Ende sparen, sehen wir zum Beispiel an einigen Neumünsteraner Schulen.

Wir haben uns vor diesem Hintergrund entschlossen, diesen Haushalt als das zu betrachten, was er in unseren Augen ist: 

Ein Not-Haushalt, ein Haushalt mit vielen Fragezeichen, der uns alle in den kommenden beiden Jahren mehr denn je in die Verantwortung nimmt. 

Ich hoffe deshalb gleich auf nur wenige Kampfabstimmungen mit wechselnden Mehrheiten – auf mehr Gemeinsamkeit in Verantwortung für unsere Stadt.

Dummerweise hat uns die zweifache Verschiebung dieser Haushaltssitzung näher an den Oberbürgermeister-Wahlkampf gebracht.

Selbst wenn wir versuchen, den Wahlkampf aus der aktuellen Ratsarbeit herauszuhalten – es wird uns nicht gelingen.

Es ist dem OB vorhin nicht gelungen, falls er es überhaupt versucht hat.

Es wird auch mir nicht gelingen. Teil der Haushaltsberatungen ist schließlich auch der Stellenplan. 

Vor zwei Jahren – ich habe es gerade nochmal nachgelesen – hab ich schon einmal darauf hingewiesen, dass es ein wesentlicher Schlüssel für eine erfolgreiche Arbeit unserer Verwaltung ist, die Mitarbeitenden in unserer Verwaltung immer wieder zu motivieren. Inwieweit wir als Ratsversammlung dazu unseren Teil beigetragen haben, möge jede und jeder für sich selbst überprüfen. 

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen gefordert, aber nicht überfordert werden. Ich blicke mal zwei Jahre zurück und zitiere: Es muss attraktiv sein, für die Stadt Neumünster zu arbeiten. „Dazu gehört, dass die Arbeitsbelastung auch zu schaffen ist und dass die Möglichkeit besteht, sich einzubringen und Ideen zu entwickeln. Jede und jeder nach ihren und seinen Kompetenzen. Auch dafür, dass dies möglich ist, auch dafür schaffen wir mit den heutigen Stellen-Entscheidungen die Rahmenbedingungen.“

Soweit das Zitat aus dem Jahr 2018.

Was ist seitdem passiert?

Die Leitung der Verwaltung hat ordentlich nachgelegt. 

In fast jeder Ratsversammlung wurden uns weitere Vorlagen präsentiert, mit der weitere Stellen geschafft werden sollten – und meistens auch geschaffen wurden. 

Wir als Fraktion haben nachgefragt, hinterfragt – und in den meisten Fällen darauf vertraut, dass diese Stellen auch wirklich nötig sind. 

Ich will es nochmal deutlich sagen: Wir hatten einen Haushalt beschlossen, der uns optimistisch sein ließ. Dann aber wurden nach und nach Stellen nachgeschoben. 

Wir haben sie mitgetragen – weil eine Verwaltung für die Einwohnerinnen und Einwohner ihrer Stadt da sein muss und wir uns noch weniger Service, noch weniger Bürgerinnenfreundlichkeit nicht leisten wollen. 

Vor einem Jahr haben wir aber gesagt: Mit dieser Salami-Taktik geht es nicht weiter – es fehlt ein Plan dahinter. 

Bis heute haben wir diesen Plan nicht.

Statt dessen gibt es  – und diese Zahl lassen wir uns jetzt mal auf der Zunge zergehen – inzwischen 41 Stellen mehr. 

In der neuesten Veränderungsliste kommen nochmal etwas mehr als 5 Stellen dazu.

Jede gut begründet, bei fast jeder fällt es uns als Laien schwer zu sagen: Bis hierhin und nicht weiter!

Vom jetzigen Verwaltungschef gab es keine Vorschläge, wie vielleicht an anderer Stelle gespart werden könnte – immer nur die Lösung: Wir brauchen mehr Personal.

Und nun kommt der Clou des Ganzen: 

Der selbe Oberbürgermeister entschließt sich nach einem Jahr des schleichenden Abschieds: Ach, ich könnte doch nochmal kandidieren. Und statt eines Plans für die Zukunft lässt er sich in der Zeitung zitieren mit den Worten, er wolle „das eigene Personal auf den Prüfstand stellen.“

Wenn wir unsere Stadt voranbringen wollen, dann brauchen wir motivierte und nicht ängstliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Solche, die keine Angst haben müssen, sondern die sich engagieren können, ohne ständig an künstliche Grenzen zu stoßen.

Menschen, die nicht in althergebrachten Bahnen denken, sondern die sich zuständig fühlen und alle Herausforderungen angehen wollen.

Das betrifft nicht zuletzt die Zusammenarbeit mit der Ratsversammlung. Verwaltung und Selbstverwaltung – das sind keine Gegner. Das sind zwei Akteure mit einem gemeinsamen Ziel: das Wohl unserer Stadt. 

Insofern finden wir es überhaupt nicht zielführend, sondern eher kontraproduktiv, wenn wir – wie von CDU, SPD und LINKEN gewünscht – mit zusätzlichen Stellen und viel drumherum eine Verwaltung neben der Verwaltung schaffen. Abgesehen davon, dass es natürlich am Ende immer rüberkommt wie Selbstbedienungsmentalität – es vergrößert die Kluft zwischen Verwaltung und Ratsversammlung. 

Selbst wenn dieser Antrag heute noch zurückgezogen wird – dies geschieht nicht aus Überzeugung, sondern weil die öffentliche Prügel weh getan hat.  

Der Wunsch wird wieder auftauchen, wahrscheinlich – so gut es geht – ganz nebenbei. 

In einer ungewissen Zeit, ohne zu wissen, was finanziell noch auf uns zukommt – finde ich das unangebracht, zumal ja im Herbst die Chance besteht, Verwaltung neu zu denken.

Tauchen wir nun ein in das umfangreiche Zahlenwerk, das in unseren Augen nur einen sehr ungenauen Rahmen für 2021 und 2022 vorgeben kann. 

Natürlich haben wir uns mit allen Änderungsvorschlägen genau beschäftigt, haben uns eine Meinung gebildet, werden sie in einigen Fällen auch begründen. Ja, und in wenigen Fällen, stellen wir Änderungsanträge auch mit.

Ich hoffe aber, dass wir alle das gemeinsame Ziel im Auge behalten – und im Bewusstsein, dass es selten ein eindeutiges Richtig oder Falsch gibt, einen gemeinsamen Weg für unsere Stadt finden werden. In der jede und jeder Verantwortung übernimmt.